BÜCHSENLICHT - KUNSTHALLE GIESSEN
BÜCHSENLICHT - KUNSTHALLE GIESSEN
von Simone Scholten
Sandra Mann ist vielseitig: in ihrem Werk treffen die unterschiedlichsten künstlerischen Medien aufeinander – dokumentarische und inszenierte Fotografien stehen neben Rauminstallationen, skulpturalen Arbeiten oder Videofilmen.
Nach umfangreichen fotografischen Feldforschungen zu den Themen ‚Nightlife’ und ‚Daylife’ arbeitet Sandra Mann seit 2012 an der inzwischen über 200 Motive umfassenden fotografischen Waldserie.
Nachdenklich aber auch humorvoll wirft die Künstlerin hier Fragen nach dem menschlichen Zusammenleben, der Interaktion zwischen Mensch und Tier sowie unserem Umgang mit Natur und Umwelt auf. Der deutsche Wald – romantisch verklärtes Sehnsuchtsziel und Furcht einflößender Ort zugleich – wird dabei zur Bühne für die künstlerische Verhandlung relevanter gesellschaftlicher Themen. Dabei hat unser heutiger, vorwiegend als Rohstofflieferant genutzter Wald nur noch wenig mit dem Ideal einer unberührten Natur zu tun. In der Jagdsprache bezeichnet der Titel gebende Begriff ‚Büchsenlicht’ die zum Schießen besonders geeigneten Lichtbedingungen in der Dämmerung, bei dem man – laut Definition – „mit ausgestreckter Hand noch den Dreck unter den Fingernägeln erkennen kann“. Ideale Lichtverhältnisse sind für die teils sehr geringe Tiefenschärfe der Fotografien von großer Bedeutung.
Der Großteil der Aufnahmen der Waldserie ist inszeniert. Es handelt sich um sorgsam komponierte Fotografien von in der Natur posierenden Protagonisten. Die Wahrnehmung des Betrachters wird dabei subtil auf die Probe gestellt: Häufig erschließen sich die raffinierten Bildkompositionen erst auf den zweiten Blick in ihrer ganzen Tiefe: So hat sich nicht etwa ein Riesenfalter auf dem dichten Moosgrund niedergelassen; vielmehr ist es ein Stück Dessous-Spitze, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und die berittene Polizistin, die so selbstverständlich durch den Wald zu traben scheint, hat ihr Ross gegen ein seltenes Pinzgauer Rind eingetauscht. Eine junge Frau hält einem Maler, der zum Arbeiten in den Wald gegangen ist, einen Spiegel vor und eignet sich auf diese Weise seinen Oberkörper an. Der mit Efeu-Tattoos überzogene Körper des Künstlers Manfred Peckl geht eine enge Symbiose mit einem Baumstamm ein, und eine Künstlerkollegin badet in einem See, bei dem erst auf den zweiten Blick deutlich wird, dass es sich nicht um einen idyllischen Seerosenteich handelt. Die neueste Arbeit der Serie zeigt unter dem Titel ‚040317-1570 Schwarz Rot Gold (Grüner See)’ drei junge Frauen unterschiedlicher Hautfarbe, die sich mit Bikinis bekleidet und selbstbewusst eine Hand zum Victory-Zeichen geformt auf dem Weg an einen Waldsee befinden; ein Verweis auf die Möglichkeit selbstbestimmten Lebens von Frauen in unserer Gesellschaft.
Dokumentarische Aufnahmen von Bäumen, die mit leuchtend roter Sprühfarbe zum Fällen markiert oder Bereiche, die mit Flatterbändern abgesperrt wurden, ergänzen das motivische Repertoire.
Mit ‚Stadtluft’ visualisiert Sandra Mann nicht sichtbare Auswirkungen von Umweltverschmutzung: Ursprünglich strahlendweiße T-Shirts werden durch einwöchiges permanentes Tragen von den in der Luft der Megametropolen mit mehr als acht Millionen Einwohnern zirkulierenden Schadstoffen ‚eingefärbt’. Auf diese Weise entstehen textile Zeichnungen, die als visuelle Indikatoren für den Zustand unseres Planeten fungieren
‚Canettis Cage’ thematisiert das besondere Wechselverhältnis zwischen Mensch und Tier. In einer großen vergoldeten Voliere, die Zitate aus Elias Canettis Schrift ‚Über Tiere’ zieren, stimmen fünf Kanarienvögel mit ihrem Gezwitscher in eine von Musikern und der Künstlerin gepfiffene Version von Bedřich Smetanas ‚Die Moldau’ ein. Menschliche und tierische Stimmen verschmelzen miteinander und verweisen auf die komplexen Verbindungen der beiden Spezies.
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet: Performances von Erin Kirk (‚Find A Way To Glow In The Dark’, Eröffnung), Stefanie Trojan (‚Ohne Titel, 07.05.2017, 15.00 - 17.00 Uhr), Eva Weingärtner (‚I take myself and carry on’, 11.06.2017, 15.00 Uhr) und Snežana Golubović (‚Dryade’, 30.07., 15.00 Uhr) greifen einzelne Aspekte der Ausstellung auf und vertiefen diese. In regelmäßigen Lesungen wird Henry David Thoreaus Klassiker der Aussteigerliteratur „Walden – oder Leben in den Wäldern“, welcher das Leben in einer Blockhütte schildert, vorgestellt.
Am Samstag, 24.06. 2017, 15.00-17.00 Uhr diskutieren Sandra Mann und Gäste unter der Moderation von Aileen Treusch das Thema ‚Kunst heute: Ideenmotor oder Spekulationsobjekt?
https://www.kunsthalle-giessen.de/2017_mann.html